Geschichte Afghanistans und seiner Grenzen

Ein Q History-Beitrag zur Geschichte Afghanistans und seiner Grenzen.

Afghanistan und seine Grenzen

Heute begann in Kabul die Afghanistan-Konferenz. Über 60 Staaten und Organisationen verhandeln dort über die Zukunft des Landes. Die größten Probleme gibt es im Moment im Grenzgebiet zu Pakistan. Henrik Kipshagen und Philipp Spreckels haben sich mit der Geschichte dieser Region beschäftigt.

Die hören sollen, sie hören nicht mehr,
Vernichtet ist das ganze Heer,
Mit dreizehntausend der Zug begann,
Einer kam heim aus Afghanistan.

Man könnte denken, diese Zeilen beziehen sich auf den aktuellen Krieg in Afghanistan. Doch in Wirklichkeit hat Theodor Fontane sie 1858 niedergeschrieben. Er nahm damit Bezug auf den ersten Krieg zwischen der britischen Kolonialmacht und afghanischen Rebellen.

Um die Wurzeln der heutigen Konfliktherde in Afghanistan und Pakistan zu verstehen, muss man bis ins 19. Jahrhundert zurück gehen. Die Grenze zwischen den beiden Staaten spielte dabei schon immer eine wichtige Rolle.

Das ehemalige Königreich von Kabul war weit größter als das heutige Afghanistan. Es umfasste auch große Teile Pakistans und Indiens. Mitte des 19. Jahrhunderts geriet es in die Auseinandersetzungen der britischen und russischen Kolonialmächte. Um ihre Interessen durchzusetzen zogen sie Grenzen neu, die teilweise bis heute bestehen. Christian Sigrist, Soziologe und Ethnologe in Münster:

Christian Sigrist: „Es sind die Grenzen eines Pufferstaats der vom zaristischen Russland und von dem Britischen Empire gezogen wurden. Sie heißt Durand Line nach dem englischen Diplomaten der das eben durchgesetzt hat. Es war ein Protektorat und der Sinn dieses Protektorats war zu verhindern, dass Russland Ost-Indien bedrohen konnte oder auch einen Warmwasserhafen erreichen konnte.“

.Die ca. 2.600 Kilometer lange Durand Line trennt Afghanistan von Pakistan und verläuft durch das Stammesgebiet des größten Volkes dieser Region..

Christian Sigrist: „Es wurde das Siedlungsgebiet des größten Volkes, nämlich der Paschtunen, durchgeschnitten. Und da ging es nicht primär um Geländegewinn sondern darum, den stärksten möglichen Gegner zu schwächen, indem man ihn zerteilte. Das nenne ich Ethnotomie, das heißt das Zerschneiden eines Volkes.“

Auch nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft blieb diese Grenze bestehen.

Christian Sigrist: „Die Entkolonsierung verlief völlig verantwortungslos, überstürzt, hastig. Es gab hunderttausende von Toten bei diesem Bevölkerungsaustausch. Und die Paschtunen wurden nicht gefragt ob sie einen eigenen Staat haben wolle, deswegen haben viele die Wahl boykottiert.“

Bis heute hat keine Afghanische Regierung die Grenze zu Pakistan anerkannt – auch nicht die von Präsident Karzai.

Im Zuge des Kalten Krieges putschten sich 1978 Kommunisten in Afghanistan an die Macht. Als sich das Regime jedoch nicht halten konnte, beschloss die Sowjetunion widerwillig, mit einem begrenzten Kontingent von 130.00 Mann in das Land einzumarschieren. Hier trafen sie auf den Widerstand der radikal-islamischen Mudschahidin, die von anderen Mächten Hilfe bekamen. Professor Sigrist war damals zu Feldforschungen in der Region.

Christian Sigrist: „Den Widerstand gegen die sowjetische Armee, dass hat der Pakistanische Geheimdienst mit massiver Unterstützung der Amerikaner, der Saudis unterstützt. Die Waffen stammten aus China, die sich dafür aber bezahlen ließen. Die Amerikaner haben die Waffen an die Mudschahidin bezahlt und die Chinesen haben geliefert. Ich hab die Waffen selbst in der Hand gehabt!“

Auch Osama bin Laden war im Auftrag des Saudi-Arabischen Geheimdienstes in die Kämpfe verwickelt. Schließlich musste die Rote Armee nach hohen Verlusten abziehen. Übrig blieben zahlreiche Gruppierungen der Mudschahidin.

Christian Sigrist: „Als die Mudschahidin das Land nicht zu organisieren vermochten sondern im Gegenteil die Hauptstadt zerstört hatten, da war Pakistan daran interessiert für stabile Verhältnisse zu sorgen. Sie wollten das überschaubar halten.“

Die Taliban waren eine Bewegung aus dem Pakistanischen Grenzgebiet. Sie bestanden zum größten Teil aus paschtunischen Kriegswaisen, die in radikalen Koranschulen aufgezogen wurden.

Christian Sigrist: „Die Amerikaner hatten das Interesse die Gas- und Ölpipelines durch Afghanistan zu legen. In sofern haben sie zusammen mit dem Geheimdienst die Taliban unterstützt, als sie 94 über Kandahār eingedrungen sind und 96 haben sie ja Kabul erobert. Am Schluss kontrollierten sie 90 % des Territoriums.“

Die Herrschaft der Taliban dauerte nur bis zum Ende des Jahres 2001. Heute erleben wir allerdings, dass sie auf beiden Seiten der Grenze immer stärker werden. In ihrem Verständnis hat die weitgehend unbewachte Grenze keine Bedeutung, so dass sie von ihnen tagtäglich für Ausfälle und Rückzüge überquert wird. Die westlichen Befehlshaber und Politiker haben bis heute kein Mittel gefunden, damit umzugehen. Darin spiegeln sich unsere Vorstellungen von Grenzen und Staatlichkeit wider. Diese aber lassen sich jedoch nur schwer mit den Verhältnissen vor Ort vereinbaren.

Fontanes Zeilen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts haben also noch nicht ganz ihre Aktualität verloren. Heute ist die Grenzregion gefährlicher denn je. Christian Sigrist berichtet von einem ehemaligen Schüler (Abdul Hakim Taniwal), der dort den Posten eines Gouverneurs an nahm.

Christian Sigrist: „Dann hat man ihm gesagt: ja jetzt kannst du nochmal Gouverneur werden, in Gardez. Und da habe ich ihm gesagt: bist du verrückt? Gardez ist gefährlich geworden! Nein stimmt nicht, Gardez ist nah an Kabul, näher dran (was stimmt). Aber … Beim letzten Gespräch … ja da wurde es etwas schwierig. Weil ich ihm praktisch gesagt habe, wenn du bleibst stirbst du. Ein Jahr später ist er in die Luft gesprengt worden, einen Tag danach auch noch seine gesamte Beerdigung.“

Foto: copyright by erwinlux, Philipp Spreckels, Limbic and Christian Sigrist.

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