Helden, Freaks & Superrabis – Jüdisches Museum Berlin

Eine Q History-Reportage über die Ausstellung Helden, Freaks & Superrabis im Jüdischen Museum Berlin.

Helden Freaks und Superrabbis 5 - SuperheroesHelden, Freaks und Superrabis. So heißt die aktuelle Sonderausstellung im Jüdischen Museum Berlin. Worum es geht, was gezeigt wird und was das ganze mit Comics zu tun hat, Philipp Spreckels war für Q History in Berlin und hat die Antworten.

Angst steht den jüdischen Männern ins Gesicht geschrieben. Die Menge vor ihnen ist aufgebracht, antisemitische Parolen werden laut, die Lage droht zu eskalieren.

Plötzlich stellt sich ein Gigant schützend vor sie. Nicht Superman, Hulk oder Captain America sondern der Golem baut sich vor der zornigen Masse auf.

Wer sich nun im mittelalterlichen Prag, in der Gesellschaft Rabbi Löws wähnt, liegt weit daneben. Der Comic The Golem’s Mighty Swing erzählt die Geschichte einer jüdischen Baseballmannschaft, die mit einem als Golem verkleideten Afroamerikaner durch das Amerika der Zwanziger Jahre tourt. 2001 thematisierte James Sturm mit dieser Mischung aus jüdischer Folklore und amerikanischem Mainstream ganz offen die Spannungen zwischen jüdischen Migranten und der anglo-amerikanischen Mehrheit Anfang des letzten Jahrhunderts. Das war nicht immer so!

Die Ausstellung Helden, Freaks und Superrabis, die jüdische Farbe des Comics beschäftigt sich mit der Entwicklung des Mediums Comic im Verlauf des 20. Jahrhunderts und zeigt auf, welch großen Anteil jüdische Zeichner, Autoren und Verleger an dieser Entwicklung hatten. Ich war in Berlin und habe mir die Ausstellung für Q History mal etwas genauer angeschaut.

Aufmerksam geworden durch einen Zeitungsartikel mache ich mich auf den Weg nach Berlin. Nach fünf Stunden RE, ICE und Hochbahn stehe ich vor dem Jüdischen Museum. Trotz Sommer, Sonne, Sonnenschein herrscht draußen wie drinnen eine beklemmende Atmosphäre: Polizei, Security, Kameras und die unwirklich perspektivische Architektur von Daniel Libeskind machen mir klar, dass hier keine Geschichte zum Einschlafen sondern Geschichte voller Spannung und Spannungen gezeigt wird. Unterdrückung, Assimilation, Verfolgung, Genozid … und jetzt bunte Bilder – Comics?

Nach Metalldetektor und Kasse lasse ich den Strohm der Schulklassen und Touristen hinter mir und biege in Richtung Sonderausstellung ab. Dritter Stock: Superrabis: Szenenwechsel.

Statt sich in den surrealen Räumen beobachtet zu fühlen wird man nun selbst zum Betrachter. Riesige Comic-Paneele in schwarz-weiß laufen an Wänden, über Schrägen, Boden und Decke entlang durch die gesamte Ausstellung. In, auf und an den leeren Paneelen sind Hefte, Zeitungsausschnitte und Skizzen von Comic-Größen wie Will Eisner und Art Spiegelman zu sehen, über die sich nur wenige Besucher beugen. Begleitend ertönt für die Epoche typische Musik, die durch Photos und Videoaufnahmen ergänzt wird. Die Ausstellung ist chronologisch angeordnet, man stellt die Comics nicht isoliert dar sondern belässt diese in ihrem historischen Kontext.

Anfang 20. Jahrhundert

Anfang des 20. Jahrhunderts kann von einer Comic-affinen Jugend- und Nerdkultur noch keine Rede sein. Die Ausstellung Beginnt mit dem Schicksal jüdischer Einwanderer in den USA. Auch in der Neuen Welt versperrten antisemitische Ressentiments den Emigranten große Teile des Berufsmarkts. Dies traf auch auf die prestigeträchtige Zeitungsbranche zu. Lediglich an den täglich, in den Tageszeitungen, erscheinenden Comicstrips konnten Juden mitarbeiten. Das Randmedium als ökonomische Nische für Randgruppen. Auch wenn immer mehr Juden an der Entstehung von Comics beteiligt waren, jüdische Inhalte muss man selbst als Kenner mit der Lupe suchen.

Zweiter Weltkrieg

Superman kämpfte schon gegen Hitler, als US-Politiker noch glaubten sich aus einem Krieg mit Nazi-Deutschland heraushalten zu können. Der Zweite Weltkrieg erreichte den amerikanischen Comic noch vor den USA selbst. Ein schwach koloriertes Original aus dem Jahre 1940 erzählt, wie Superman die Gespenster des Weltkrieges einfängt. Der Edelmut des Helden ist derart rein, dass er Hitler und Stalin, für ihre Verbrechen an Polen, in Genf dem Völkerbund überantwortet, statt sie selbst zu richten.
Trotz des Titels der Ausstellung bin ich überrascht wie viele, der heute noch bekannten, Superhelden von jüdischen Autoren und Zeichnern erfunden wurden: Superman, Batman, Daredevil … ja sogar der grenzenlos patriotische Captain America entstammt ihrer Fantasie. Unter der patriotisch anglo-amerikanischen Verkleidung vieler Superhelden schimmert die Sehnsucht vieler Juden nach Gerechtigkeit aber auch nach Rache durch. Die bunten Heftchen über die Männer mit Strumpfhosen und Cape bescherten der jungen Comic-Branche einen ersten Boom und vielen jüdischen Autoren und Verlegern ein gutes Auskommen.

Nachkriegszeit

In der Angstkulisse der Nachkriegsjahre kam es parallel zu McCarthys Kommunisten-Prozessen auch in der Comic-Branche zu Misstrauen, Denunziation und Zensur. Aufgebrachte Hausfrauenverbände sahen in den neuen Horror- und Crime-Serien des Comics einen Sündenbock für die Verrohung der Jugend. Nur wenige Serien wie der Satire-Comic MAD überlebten den kulturellen Kahlschlag. So fanden auch erste Auseinandersetzungen mit dem Holocaust, wie die einprägsamen Bilder der Konzentrationslager aus Bernie Krigsteins Master Race, ein vorschnelles Ende.

Underground

Erst mit der Underground-Bewegung der Siebziger überwand man diese tiefe Schaffens- und Wirtschaftskrise. Während Vietnamkrieg und Woodstock die amerikanische Jugend rebellieren ließen, experimentierte auch der Comic mit Sex, Drugs and Rock’n’Roll. Nach ersten Gehversuchen mit biographischen Elementen läuteten Will Eisner in den Siebzigern (A Contract With God) und Art Spiegelman Mitte der Neunzigern (Maus) ein neues Zeitalter des Comics ein.

Graphic Novel

Der Graphic Novel enthält meist in sich abgeschlossene Geschichten und behandelt erwachsenere, oft auch schwierigere Themen als der normale Comic. Mit dem Siegeszug des neuen Genres kann auch die jüdische Farbe des Comics offen zu Tage treten. Im Graphic Novel ist es den Kindern der Holocaust-Überlebenden nun endlich möglich den Genozid ihres Volkes und andere speziell jüdische Themen darzustellen. Plötzlich sind Dinge zeig und sagbar, die vorher nur unter der Oberfläche existierten und nur Eigeweihte bekannt waren. Dass spätestens jetzt auch Wissenschaftler und Kulturkritiker das Medium Comic wahrnehmen und anerkennen mussten, beweist gerade Spiegelmans Holocaust-Familiengeschichte Maus. Millionen Verkäufe, eine eigene Ausstellung im Museum of Modern Arts und schließlich der Pulitzer Preis verdeutlichen die Emanzipation des Comics. Bezeichnenderweise hat Art Spiegelman eine Verfilmung des Stoffs immer abgelehnt, einige Dinge lassen sich wohl nur im Comic darstellen.

Nach dem Graphic Novel ist man in der Gegenwart angekommen. Zeit zu gehen? Leider nicht. Es hängen noch zwei Exkurse in die Comic-Szenen Europas und Israels hinten dran, die so gar nicht zum chronologischen Konzept der Ausstellung passen. Ein Bild aus der israelischen Comic-Szene verdeutlicht das Dilemma: statt einem in stars and strips gehüllten Captain America, der gegen den Nazi-Übermenschen Red Skull kämpft, haben wir es hier mit Sabraman zu tun, der in den Farben der israelischen Flagge und mit einem Davidstern auf der Brust gegen Dr. Mengele kämpft. Auch wenn der israelische Superheld wie ein Captain America-Destillat daher kommt und den wahren Konflikt des Charakters auf den Punkt bringt – im Kontext der vorher präsentierten Graphic Novels wirkt das Bild nicht nur chronologisch wie ein Rückschritt.

Trotz dieses letzten Wehmutstropfens hat sich die Ausstellung aber gelohnt. Ein eintauchen in die jüdische Seite der Comic-Geschichte war noch nie so spannend und übertrifft meiner Meinung nach sogar den Besuch des allein auf Comics spezialisierten Museums in Brüssel. Bravo!

Siehe auch das Q History-Interview mit der Kuratorin der Ausstellung.

Helden, Freaks und Superrabbis: Jüdisches Museum Berlin, 30 April bis 8. August

Fotos: Superhelden, Außenansicht, Ausstellung, Das Ding, Graphic Novel © Philipp Spreckels; The Golem’s Mighty Swing © Sammlung Alexander Braun; Sabraman © Leihgabe des Künstlers

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