Berliner Winter

Foto - Berlin Beusselstraße Schon als Kind habe ich Comics gelesen. Richtig entbrannt ist meine Leidenschaft für das Medium jedoch erst vor ein paar Jahren, in Berlin, im Winter. Anfang 2011 zog ich für fünf Wochen nach Berlin. Ich hatte mich für ein Praktikum beworben und kam bei meinem Onkel in Moabit unter. Das Praktikum war ein Reinfall. Die Arbeit war eintönig und die Kollegen deprimiert, gestresst, kaum ansprechbar. Aber was sollte ich tun, das Praktikum nach wenigen Tagen abbrechen? Ich entschied mich, weiter zu machen. Also schleppte ich mich Tag für Tag durch die eisige Kälte in die Stadt. Die Tage waren lang, anstrengend und trist. Und so klammerte ich man an das, was mir Freude bereitete: Neben dem ein oder anderen Museumsbesuch waren das vor allem die gemeinsamen Abende auf dem Sofa meines Onkels. Während die Welt draußen früh finster wurde, machten wir es uns bei warmem Lampenschein, heißem Tee und alten VHS-Kassetten vor dem Flimmerkasten gemütlich. Und wir aßen Apfelsinen; Unmengen von Apfelsinen. Noch heute kauft mein Onkel reflexartig mehrere Orangennetze, wenn ich ihn besuchen komme. Ein weiterer Lichtblick in dieser kalten, öden Zeit waren Comics. Zwar hatte ich schon in Kindheit (Lurchi), Pubertät (Star Wars) und Studium (Sandman) hin und wieder Comics gelesen, richtig entbrannt ist meine Leidenschaft aber erst in jenem Winter, im Comicladen „Grober Unfug„. Ich weiß gar nicht, ob mir der Grobe Unfug vorher schon ein Begriff war, oder ob mir Google kurz vor Feierabend auf die Sprünge half – jedenfalls stand ich auf einmal im Laden in Berlin-Mitte und fand statt einer muffigen Altpapierhöhle einen geräumigen Buchladen mit weißen Regalen voller Comics vor. Da ich aufgrund meines Praktikums immer erst kurz vor Ladenschluss auftauchte, brauchte ich viele Besuche, um den Groben Unfug komplett zu erforschen. Demzufolge waren die kurzen Aufenthalte für mich immer eine Mischung aus Hetze (raus aus dem Büro, in die U-Bahn, umsteigen, U-Bahn, Fußweg, dort) und dem Gefühl, als Kleinkind den ganzen Süßwarenladen für mich zu haben. Ich liebte es, die Regalreihen abzugehen, den ein oder anderen Band rauszuziehen, zu schmökern und mich mit den Verkäufern kurz zu unterhalten. Aber wo anfangen? Dank guter Beratung wurde ich gleich mehrfach fündig: The Amazing Screw-on Head, Orbital und The Goon (um nur einige zu nennen) sind alles Comics, die mir auch heute noch viel bedeuten. Oft konnte ich es kaum abwarten und las das Gekaufte schon in der U-Bahn quer. Kaum in Moabit angekommen, schwärmte ich beim gemeinsamen Abendbrot meinem Onkel und seiner Freundin von dem neuesten Fund vor. Aber irgendwann war auch die fünfte Woche vorüber und ich machte mich auf den Heimweg nach Münster. Ich denke gerne an jenen Berliner Winter zurück. Die ungewöhnliche Kombination aus Tristesse, Gemütlichkeit und Entdeckung einer neuen Welt hat mich nachhaltig beeindruckt. Und so lässt das Medium Comic mich bis heute nicht los – Nebenwirkungen wie der Comiclesekreis und dieser Blog inklusive. Seit 2011 besuche ich meinen Onkel mindestens einmal im Jahr. Der gemeinsame Verzehr von Apfelsinen gehört für mich genauso dazu, wie ein Besuch im Groben Unfug.

 

2 Kommentare

  1. klingt wie in Praktikum in einer der zahllosen kleinen Medien-Agenturen rund um die Torstraße… Aber schön, dass du „Grober Unfug“ und damit die Welt der Comics entdeckt hast. Eine schöne Berlin-Geschichte.

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