Voodoo als Herrschaftswerkzeug – Geschichte Haitis

François ‚Papa Doc‘ Duvalier während eines Treffens mit David Tercero Castro 1968

In Haiti droht(e*) sich die Geschichte zu wiederholen. Jean-Claude ’Baby Doc’ Duvalier ist zurück. Der Zeitpunkt ist gut gewählt, denn nach dem Erdbeben wüten die politischen Lagerkämpfe schlimmer den je. Wenn ’Baby Doc’ die Macht an sich reißen will, könnte ihm der Voodoo wieder gute Dienste leisten.

Fünfziger Jahre, Haiti, Wahlkampf. François ’Papa Doc’ Duvalier (1907-1971) zieht alle Register, um an die Macht zu kommen. Der Arzt behauptet unter anderem ein Houngan zu sein – ein echter Voodoo-Priester also. Sein Äußeres und seine Stimme (schwarze Kleidung, nasale Stimme) passt er dem populären Bild von Baron Samedi an. Als Verkörperung des Voodoo-Totengottes will er das höchste Amt erringen. Duvaliers Rechnung geht auf: Angst und religiöse Ehrfurcht treiben die Massen zu den Urnen – 1957 wird ’Papa Doc’ Präsident Haitis.

Die Wurzeln des Voodoo liegen im Sklavenhandel

Voodoo, was ist das überhaupt? Satanisten, Voodoo-Puppen, Zombies und bestialische Blutopfer – unser Bild des Voodoo wird bestimmt von Hollywood. Die realen Wurzeln dieser fremden Religion liegen in einem der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte begraben: dem transatlantischen Sklavenhandel.

Es gibt die Maobibel und Gaddafis Grünes Buch, eine Voodoo-Bibel gibt es jedoch nicht. Der Voodoo entstand, als Millionen Afrikaner versklavt wurden und mit Schiffen in die amerikanischen Kolonien gebracht wurden, unter anderem in die Karibik. Dort verschmolzen die afrikanischen Stammesreligionen miteinander. Im Zentrum der neuen Mischreligion steht der Gott Bondye und die Loa – kleinere Gottheiten, Ahnengeister und Heilige – mit denen Voodoo-Gläubige durch rituelle Musik, Gesang und Tanz kommunizieren. Voodoo bezeichnet man auch als animistische Religion, da die Grundsätze dieses Glaubens nie aufgeschrieben worden sind. Deshalb gab und gibt es nicht den Voodoo – jeder Voodoo-Priester praktiziert seine ganz eigene Religion.

Ohne diese Flexibilität hätte der Voodoo nie überleben können – christlichen Missionaren gelang es nicht, den Voodoo zu verdrängen. Statt sich von ihren afrikanischen Wurzeln abzuwenden, wurden katholische Motive und Vorstellungen in den Voodoo integriert. So wird der Schlangengeist Dmballah noch heute als Heiliger St. Patrick verehrt.

„Doc, der Du regierst im Palast, töte all Deine Feinde …“

Diese Wandlungsfähigkeit weiß ’Papa Doc’ für sich zu nutzen. Er bedient sich am Symbolsystem des Voodoo und schustert sich seine eigene Version der Religion zusammen, mit der er die Bevölkerung unterdrücken will. Dies zeigt sich in vielerlei Hinsicht.

Duvalier muss seine Gewaltherrschaft legitimieren und tut dies, indem er einen Personenkult um sich aufbaut. Sein an Baron Samedi angelehntes Äußeres und seine Behauptungen Voodoo-Priester zu sein, haben Erfolg. Bald sagen die Bürger Haitis ihrem Präsidenten übernatürliche Kräfte zu. In den Schulen führt Duvalier sogar ein neues Morgengebet ein: “Doc, der Du regierst im Palast, töte all Deine Feinde …“ In den Augen der Voodoo-gläubigen Bevölkerung muss jeder Widerstand gegen den ‚von höheren Mächten‘ auserwählten Präsidenten zwecklos erscheinen.

Die Haitianische Revolution begann mit einem Voodoo-Ritual

Eine Voodoo-Kirche existiert nicht. Die Kolonialherren hätten eine Voodoo-Kirche neben dem Christentum niemals geduldet. Aber auch nach der Haitianischen Revolution, in der die Sklaverei und die Herrschaft der weißen Europäer ihr Ende fand, bildete sich keine Voodoo-Organisation heraus – und das, obwohl der Voodoo-Priester Zamba Boukman zusammen mit anderen Houngan 1791 im Bois Caiman (Wald der Caimanen) ein Ritual abgehalten haben soll, dass als Startschuss für den Sklavenaufstand gilt. ’Papa Doc’ nahm einer möglichen Houngan-Revolution schon vorweg Wind aus den Segeln, indem er sich zum obersten Voodoo-Priester und der Verkörperung Haitis selbst erhob.

Auch dieser Aspekt spielt Duvalier in die Hände. Während die Kirchen in Europa ein spirituelles wie auch politisches Gegengewicht zu den jeweiligen Regierungen aufbauen konnten, hat ’Papa Doc’ hier nichts zu befürchten. Die Voodoo-Priesterschaft selbst hat keine gemeinsame Organisation, die dem Diktator bedrohlich werden könnte. Auch kann sich keine Opposition unter dem Deckmantel des Voodoo entwickeln, wie dies z.B. in der ehemaligen DDR der Fall war.

Hexerei ist für Voodoo-Gläubige kein Aberglaube sondern Realität. Die Angst von einem bokor (Schwarzmagier) in einen Zombie verwandelt zu werden oder Opfer eines Fluchs zu werden, ist alltäglich. Schutz versprechen nur Voodoo-Priester und diese lassen sich ihre Hilfe etwas kosten. Ob als Dorfpriester oder als Präsident des Landes, wer Schutz vor bösem Zauber verspricht, kann schnell zu Macht gelangen. Die hohe Armmut und Analphabetenrate in der Bevölkerung tun ihr übriges.

Papa Docs Voodoo-Miliz hält das Volk mit Terror unter Kontrolle

Die Angst vor schwarzer Magie spiegelt sich auch in der Privatmiliz von ’Papa Doc’ wieder. Die Milice Volontaires de la Sécurité Nationale (MVSN) wurde 1959 gegründet, um durch Gewalt und Terror die Bevölkerung unter Kontrolle zu halten. Im Volksmund war die verhasste Miliz unter dem Namen Tonton Macoute (vergleichbar mit dem ’Schwarzer Mann’) bekannt. Die Sagengestalt soll des nachts Kinder aus ihren Betten holen und sie in ihren Umhängesack (macoute) stecken – auch die Miliz war dafür bekannt, Regierungskritiker im Schutz der Dunkelheit verschwinden zu lassen.
Außerdem waren die Tonton Macoutes für wahllose Exekutionen und Grausamkeiten (sie hängten die Leichen ihrer Opfer in die Bäume), ihre martialischen ‚Uniformen‘ (Ray Ban-Sonnenbrillen und Machteten), sowie die ’Begabung’ ihrer Mitglieder bekannt – auf den Wunsch Duvaliers waren viele Voodoo-Priester der Truppe beigetreten. Wer wollte da schon rebellieren und neben dem Leben womöglich auch noch seine Seele verlieren?

1986 wurde ’Baby Doc’ aus Haiti vertrieben doch seit 2010 haben Angst und Aberglaube Haiti wieder im Würgegriff. 45 Houngans wurden Ende des Jahres von wütenden Volksmassen gelyncht, da man glaubte, sie hätten die Cholera-Epidemie ausgelöst. Es ist also gut möglich, dass ’Baby Doc’ oder ehemalige Tonton Macoutes versuchen die Situation auszunutzen und sich mit Voodoo wieder an die Macht putschen wollen.

*: Der Text war ursprünglich als Zeitungsartikel für Anfang 2011 geplant. Anlass war die turbulente Präsidentschaftswahl in Haiti und die unerwartete Rückkehr ‚Baby Docs‘ in seine Heimat. Bewahrheitet haben sich die aus der Geschichte abgeleiteten Befürchtungen zum Glück nicht.
Foto: public domain

2 Kommentare

  1. […] History: Wir haben gerade schon eine Menge gehört, zu Haiti und dem dort sehr verbreiteten Voodoo-Glauben. Mein Kollege Philipp Spreckels hat sich damit beschäftigt und ist jetzt hier im Studio. Sag mal, […]

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.