Leopold von Ranke – Interview mit einem Toten

Tote gehören unter die Erde – Interviews mit ihnen auch!

Ein Q History-Interview mit dem toten Historiker Leopold von Ranke in der U-Bahn Berlins. Das Interview wurde mit dem Campus-Radio-Preis prämiert. Interview mit einem Toten

(Akkordeonspiel in einer U-Bahn Station)

Ich dränge mich an den Menschen entlang in die Berliner U-Bahn. … Der da drüben könnte es sein. … Etwas merkwürdig so ganz in Farbe.

Q History: Ranke?

Er schaut auf. So und jetzt ab ins kalte Wasser!

Q History: Herr Ranke. Sie sind seit mehr als 123 Jahren tot. Wie geht es Ihnen?

Leopold Ranke: Von Ranke, so viel Zeit muss sein! … Och. Wenn ich lese, wie präsent ich eigentlich noch immer bin, geht es mir sogar sehr gut.

(Menschenmenge drängt zum Gleis)

Q History: Sie werden als einer der Väter der modernen Geschichtswissenschaft bezeichnet – zu Recht?

Leopold Ranke: Ja nun, ich hab doch schließlich für die Basis gesorgt! Wir haben zunächst mal Quellen, Quellen, Quellen gesucht und auch gefunden. Dann haben wir die Quellenkritik noch dazu erfunden.

Wir waren damals restaurativ, aber wir waren systematisch, wir waren gründlich und wir waren kritisch! Also … junger Mann, wenn das nichts ist.

(U-Bahn fährt ein)

Q History: Mit Ihren Gedanken haben Sie sich ja nicht nur Freunde, sondern auch Feinde gemacht. Zum Beispiel der Vatikan. – Was war da denn los?

(Ranke und Q History-Reporter betreten die U-Bahn)

Leopold Ranke: Ja nun, dass sie mich letztendlich auf den Index gesetzt haben, hab ich als Protestant eigentlich wie einen Orden hingenommen. Schlimmer war schon, dass sie mir das Archiv nicht geöffnet haben! Aber … ich denke meine Geschichte der Päpste kann sich trotzdem sehen lassen. (Anm. d. Red.: Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten)

(Türen schließen, U-Bahn fährt los)

Q History: Und Ihre katholischen Kollegen? Wurden Sie von denen trotzdem gelesen?

Leopold Ranke: Ich denke schon. Es gab im 19. Jahrhundert ja noch so etwas wie konfessionelle Geschichtsschreibung. Man hat sich natürlich gegenseitig gelesen. Das war ja Feindbeobachtung.

Q History: Neben der Quellenkritik waren Sie auch für Ihren Schreibstil bekannt. – Woher der literarische Eifer?

Leopold Ranke: Ja … ich habe mit Freude und auch Verwunderung zur Kenntnis genommen, dass man das jetzt wiederentdeckt hat, dass Clio dichtet – die Muse der Geschichtswissenschaft. Das haben wir damals auch schon gewusst. Nun hatten wir viel Kontakt mit den Klassikern wie Schiller und Goethe. Schiller war Historiker! Die haben uns schon das Maß gezeigt. Und ich finde das nach wie vor, dass man als Historiker Phantasie einsetzen sollte – aber kontrollierte!

Q History: Aber …. verschwimmen dann nicht die Grenzen zwischen Wissenschaft und Unterhaltung?

Leopold Ranke: Naja. Es gibt das Vetorecht der Quellen. Sie können nicht unterhaltend schreiben und dabei die Aussagen der Quellen missachten. Aber solange Sie sich an den Quellen orientieren und das bestmöglichste an Rekonstruktion bieten, darf das ruhig in wunderbaren Formen geschehen.

Q History: Und was ist mit Mommsen? (Anm. d. Red: Theodor Mommsen, 1817-1903, berühmter Historiker)

Leopold Ranke: Ja nun. Mommsen war eine Ausnahmeerscheinung. Dass er den LITERATUR-Nobelpreis bekommt, ist natürlich schon was.

Q History: Anderes Thema. Leopold von Ranke, der offizielle Historiograph Preußens …

Leopold Ranke: … (holt Luft) ja ja, das alte Thema. Meine Objektivität sei in Frage gestellt. Ich sage es zum tausendsten Mal. Die Objetitivitätsforderung ist ein Ideal und Ideale erreicht man nicht, man muss nur nach ihnen streben, man muss sich annähern! Und ich glaube das habe ich versucht.

Ich habe meine preußische, meine protestantische Perspektive nie verleugnet; ich war loyal zur Krone. Aber das hat mich nicht gehindert auch diese kritisch zu sehen.

Q History: Würden Sie sagen, dass die heutigen Historiker unabhängiger sind – als die Historiker im 19. Jahrhundert?

Leopold Ranke: Ich weiß nicht ob unabhängig das richtige Wort ist. Heute sind sie viel gehetzter. Denken Sie daran, heute jagt ein Turn (Anm. d. Red.: Paradigmenwechsel) den anderen, man muss ständig was Neues erfinden. Wir konnten in aller Ruhe unsere Verfassungsgeschichte schreiben – haben das getan, wir waren bodenständig – und die Öffentlichkeit hat auf uns gehört, wir sind nicht der öffentlichen Meinung hinterher gelaufen!

Q History: Sie haben in Ihrer Forschung sehr viel Wert auf den Staat und sehr viel Gewicht in die Nation gelegt. Im heutigen Zeitalter – EU, NATO, Vereinte Nationen – von Ihren „großen Mächten“ ist da ja nicht mehr viel übrig. Oder?

Leopold Ranke: Sie wissen doch. Historiker sind rückwärts gewandte Propheten. Wir haben aus der Geschichte heraus gelebt und gedacht und haben die große deutsche Vergangenheit – vor allen Dingen die des Mittelalters – heraufbeschworen, um unsere Gegenwart zu motivieren. Und das ist gelungen.

Dass sich später Staatenbünde bilden, lag außerhalb unseres Horizonts.

(Ranke und Q History-Reporter steigen aus)

Q History: 1871 sind Sie erblindet. Trotzdem haben Sie noch mit 80 Jahren begonnen an Ihrer Weltgeschichte zu arbeiten. – Ranke der Rastlose?

Leopold Ranke: Naja. Historiker können wenig anderes als Bücher schreiben. (lacht) Was sollte ich machen? Dann hab ich halt diktiert. Und genug im Kopf hatte ich, denn es ist gedruckt worden – und Sie werden lachen – sogar verkauft!

Q History: Herr Ranke, ich danke für das Gespräch.

Leopold Ranke: (lacht) Ja. Es war ein Vergnügen.

(Akkordeonspiel in U-Bahnstation)

Gerd Althoff lieh Leopold von Ranke die Stimme.

Foto: flickr, by vxla, by-nc illy Willy

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