Medienforum 2011: Neuer Blog, neues Spiel

Letzte Woche war ich zusammen mit Radio-Kollege Daniel Fiene auf dem NRW Medienforum in Köln. Neben den interessanten Vorträgen und Workshops hat mich das Blogfieber wieder voll gepackt, als ich spät abends in der Jugendherberge vor meinem Laptop saß und die Eindrücke des Tages Revue passieren ließ.

Die folgenden Beiträge gingen ursprünglich bei Daniels Was mit Medien. Medienmagazin. online. (Tag 1, Tag 2, Tag 3)

DESPOTEN, FASCHISTEN UND LÖWENZAHN: Medienforum NRW 2011, Tag 1

Das Medienforum NRW 2011 begann just mit ein paar kleineren Eklats. Die medienpolitische Rede der Ministerpräsidentin während der Eröffnungsveranstaltung enthielt z.B. einigen Zündstoff. So gab Hannelore Kraft an, dass sie es sich bis 2017 eine Abschaffung der Werbung in den Angeboten der Öffentlich-Rechtlichen gut vorstellen könnte. Das provozierte natürlich den alten Streit zwischen Öffentlich-Rechtlichen (Monika Piel, WDR) und Privaten (Anke Schäferkordt, RTL) auf der anschließenden Podiumsdiskussion.

Nordafrikanische Despoten

Richtig wach wurde das Publikum dann aber erst mit dem Auftritt des Journalisten und Bloggers Richard Gutjahr. Als Vertreter der digital natives verglich Gutjahr die alten Medienhäuser mit den gestürzten Despoten Nordafrikas – denn wie die Diktatoren kämen auch sie nicht mit der rasanten Entwicklung des Netzes zurecht. Daraufhin griffen die so Beschuldigten Gutjahr massiv an. Seine Aufforderung, sie sollten sich mehr mit den partizipativen Möglichkeiten von Social Media beschäftigen, kommentierte Jürgen Doetz (Präsident des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien), indem er digitale Initiativen wie die re:publica als “faschistoid” bezeichnete. Danach kühlte sich die Lage etwas ab.

Die Bonner Republik war gemütlicher

Zwischen regnerischen Kaffeepausen plätscherte das TV-Panel mit den Produktvorstellungen von YouTube & Co. leider eher enttäuschend vor sich hin. Lediglich die Aussage von Prof. Norbert Bolz, dass sich im TV in Zukunft nur noch damit Geld machen ließe, “was man nicht downloaden kann” dürfte einigen im Publikum aufgestoßen sein. Nach einem kurzen Abstecher zur eher enzyklopädischen Nintendo Key Note wurde es in “Über das Abhängigkeitsverhältnis von Politikern und Journalisten” wieder etwas interessanter. In ungewohnter Eintracht waren sich Vertreter von Politik und Medien einig, dass die “Bonner Republik etwas cosyer war ” (Thomas Ellerbeck, Vodafone). Zudem fühlten sich beide Seiten durch Fukushima, Lybien und den Guttenberg-Skandal regelrecht gehetzt und gaben sich selbstkritisch: “wir treiben uns gegenseitig!” (Eva Christiansen, Bundeskanzleramt).

App is NOT the future

“Is App the future?” war die Frage der letzten Veranstaltung, die beide Keynote-Sprecher erstaunlicherweise mit einem deutlichen Nein /Jein beantworteten. Statt den Medien Erfolgsrezepte zu verkaufen, würzte gerade Joachim Graf seine Präsentation mit markigen Sprüchen wie “Apps sind der C64 des Jahres 2011″ und, auf Apples walled market-System bezogen, “Am Ende gewinnt immer der Löwenzahn!” das Ende des Tages.

ALTE SCHLACHTEN, RADIO-ZUKUNFT UND ROSAMUNDE PILCHER: Medienforum NRW, Tag 2.

2. Tag, neues Glück und wieder ein Skandal. Neben dem Projekt ZeitungsZeit, in dem Schüler das Konsumieren “wertvoller Medien”, also Printzeitungen, an-trainiert wird, schlug vor allem die erneute Klage der Privaten Medienhäuser (SZ, FAZ, Axel-Spinger usw.) gegen die Online-Aktivitäten der Öffentlich-Rechtlichen hohe Wellen. In den Augen von Christian Nienhaus (WAZ) könne man die Wilderei der ARD auf dem Onlinemarkt, wie bei der Tagesschau-App, “auch illegal nennen.” Der Kampf ist eröffnet.

Beschwörungen des Haptischen

Die mit Spannung erwarteten Rede der ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, Margot Käßmann, bestach zwar durch interessante geschichtliche Vergleiche (Luther als Herausforderer des katholischen Meinungsmonopols / Bibel als Vorläufer der Zeitung), glitt gen Ende jedoch zunehmend in Beschwörungen der haptischen Qualitäten der Zeitung ab. Zeitweise bekam man den Eindruck, dass Frau Prof. Käßmann der Verlust der gatekeeper-Funktion der Verlage gar nicht bewusst sei.

Von der Musikindustrie lernen

Nach diesen Print-Streicheleinheiten wurde die versammelte Verlegerschaft durch den Ex-Universal-Vorstandsvorsitzenden Tim Renner jedoch abrupt aus dem Konzept gebracht. Die schmerzhaften Erfahrungen der Musikindustrie (Napster & Co.) noch frisch in Erinnerung, konfrontierte Renner das Publikum mit dem drohenden Kontrollverlust. So ermahnte er sie, sich nicht an alte Geschäftsmodelle zu klammern, sondern sich auf die neuen, partizipativen, Spielregeln des Netzes einzulassen. Die Lehre aus dem Ende von Kino.to, so Brenner, wäre nicht eine intensivierte Verfolgung von illegalen Streams sondern ein Ende der, für Konsumenten unverständlichen , vierstufigen Verwertungskette von Filmen. Ganz im Sinne dieser Konsumentenlogik sei z.B. die Musikplattform Spotify.

Keine Almosen vom Staat

In der anschließenden Diskussion überraschte der Grabenkampf zwischen Öffentlich-Rechtlichen (Markus Schächter, ZDF: “Wir können doch zusammenarbeiten!”) und Privaten (Peter Pauls, Kölner-Stadtanzeiger: “Wir brauchen keinen öffentlich-rechtlichen Moloch!”) niemanden mehr. Interessant war allerdings die frische Perspektive des Schweizer Publizisten Urs Gossweiler (Jungrau Zeitung), der sich vehement gegen staatliche Gelder in privater Hand und somit für die Unabhängigkeit der Presse einsetze. Zudem merkte der Schweizer Gast an, dass das deutsche Wort ‘Zeitung’ im Gegensatz zum englischen (newspaper) einen entscheidenden Vorteil hätte: Das Transportmedium (Papier) sei darin nicht erwähnt. Die Zeitungsproduzenten sollten also aufhören sich als “Drucker” zu begreifen, so Gossweiler.

Radio braucht Sexappeal

Den Rest des Tages bestimmten Twitter und das Radio. Das Medium Radio erwies sich als durchaus lebendig und so war der Workshop “Radio und Social Media” mit unserem Daniel Fiene und Frank Böhnke (VLR) gut besucht. Während es im Workshop um den direkten Umgang mit Social Media ging, versuchte die ehemalige MTV-Managerin Mona Rübsamen (Motor FM) in “Zukunft des Radios” der versammelten Branche Mut zuzusprechen. In ihrer Keynote verglich sie das Verhältnis von Sendern und Hörern mit einer Liebesbeziehung. Laut Rübsamen täten die Sender gut daran, das Verhältnis zu ihren Hörern durch Leidenschaft, Aufmerksamkeit, ja “mehr Sexappeal” zu pflegen.

Junge Talente brennen für das Medium

In der anschließenden Diskussion waren sich die Vertreter der Radio-Branche zwar der guten Situation ihres Mediums, im Vergleich zur Zeitung, zwar durchaus bewusst. Nichtsdestotrotz wurde auch diese Diskussion von alten Schlachten der Privaten mit den Öffentlich-Rechtlichen überschattet. Trotzdem gab sich Frank Haberstroh (Radio WAF) am Schluss durchaus optimistisch. Vor den Herausforderungen des Internets bräuchte man keine Angst haben, schließlich “hätte man junge Talente im Radio, die für das Medium brennen!”

Rosamunde Pilcher muss weg

In Sachen Twitter stach neben dem NRW-Twittwoch vor allem der Vortrag der Jungs von @ZDFonline hervor. Nach der unglaublichen Geschichte, wie es zum heutigen ZDF-Twitterkanal kam und nützlichen Hinweisen zum Überstehen eines Shitstorms (1. Nicht um sich schlagen 2. Immer höflich sein 3. Abwarten 4. Keine Zensur 5. Reagieren, wenn es brennt) drehte sich die Diskussion vor allem um das angestaubte Image des ZDF. Nach seinen ganz subjektiven Wunschvorstellungen gefragt antwortete einer der beiden, dass er sich einen Imagewechsel – hin zu einer jüngeren Altersstruktur – beim ZDF durchaus vorstellen könnte. Dafür müsste man allerdings an “ein, zwei Stellen Sendungen wie Rosamunde Pilcher aus dem Programm nehmen” und stattdessen partizipative Formate wie ZDF log in, statt auf Spartensendern, zur Primetime im Hauptprogramm eine Chance geben.

OPEN GOVERNMENT, SMART CITIES UND DIGITALES STORYTELLING: Medienforum NRW, Tag 3.

Der dritte Tag kam doch tatsächlich ohne Eklats aus, was nicht heißen soll, das er uninteressant war. Keineswegs! Denn nach TV und Print waren am letzten Konferenztag des Medienforum NRW vor allem die Digitalen am Drücker. Die Isländische Parlamentsabgeordnete Margrét Tryggvadóttir (Foto) berichtete über die Versuche ihres Landes, aus den Fehlern der Wirtschaftskrise zu lernen. So arbeiten momentan Isländische Politiker und Aktivisten aber auch normale Bürger, auf einer eigens dafür geschaffenen Onlineplattform, an einer neuen Verfassung. Ob per Facebook-Kommentar oder offizieller Eingabe, die Initiative scheint sich nicht über mangelnde Beteiligung beschweren zu können. Tryggvadóttir: “We should never waste a crisis because it can be valuable!”

Mitmachen heißt Verantwortung tragen; nicht nur am Wahltag.

In einem späteren Panel wurde das Thema mit Vertretern von Politik und Wirtschaft vertieft. Der Grünen-Politiker Oliver Keymis versprach eine Ausweitung der NRW-Open Government-Offensive, forderte die Bürger aber auch auf, sich mehr zu beteiligen. Keymis: “Mitmachen heißt Verantwortung tragen; nicht nur am Wahltag. Wo sind denn die Bürger in den öffentlichen Ausschüssen?”

Smart Cities = Open Cities?

Nicht ganz so gut besucht, aber dafür umso leidenschaftlicher, ging es im Smart Cities-Workshop zu. 2050 werden neuen Milliarden Menschen auf der Erde leben, 70% davon in Städten “and we’re not prepaired for that!” Edial Dekker (Gidsy) und Igor Schwarzmann (Third Wave) appellierten an das Publikum, die Zukunft der Städte mitzugestalten, da dies sonst andere übernehmen würden. Ähnlich wie bei der sich momentan auf kommerziellen Plattformen wie Facebook bildenden Öffentlichkeit, könnten Unternehmen wie IBM oder Cisco die Smart Cities von morgen sonst nur in ihrem Sinne vordefinieren. Gerade das technisch manchmal etwas scheue Deutschland habe laut Dekker und Schwarzmann hier noch großen Nachholbedarf.

Nazis auf dem Mond

In “Power to the crowd” wurde die Science Fiction-Komödie Iron Sky vorgestellt, welche in Sachen Crowdsourcing Pionierarbeit leistet. Der Produzent Tero Kaukomaa erklärte mit welchen Mitteln es ihm und seinem Team gelingt, die Iron Sky-Community nicht nur finanziell anzuzapfen sondern auch kreativ (und nicht nur online) an der Entstehung des Filmes zu beteiligen.

Der Mythos der “kreativen Symbiose”

Crossmedial ging es auch in “Multimedia storytelling” zu. Nach einem positiven Resümee zum TV-Online-Hybridformat Dina Foxx seitens des ZDF, übernahmen die jungen Wilden das Podium und sparten nicht mit Kritik. “Transmedia Writer” und Regisseur Jörg Tittel bemängelte, dass die oft vollmundig angepriesene, crossmediale “kreative Symbiose” zwischen Film und PC-Spielen (z.B. bei James Cammerons ‘Avatar’) immer noch nicht Realität ist: “Ich habe das Gefühl, dass wir da immer noch zwischen den Stühlen sitzen, statt endlich gemeinsam auf einer Bank!”

Newsgames, das Ende der Berieselung?

In dieselbe Kerbe schlug auch der Journalist Markus Bösch. Dem sichtlich erstaunten Publikum stellte er das Konzept von Newsgames als alternative Herangehensweise an die traditionelle Nachricht vor. Die Einsatzfelder dieser neuen Nachrichtenvermittlung reichen von Wirtschaftsjournalismus (die Budgetplanung einer Kommune als Spiel) bis hin zur Erfahrbar-Machung von medialen Lücken, wie der Tötung von Osama bin Laden in einem Ego-Shooter. Newsgames haben dabei laut Bösch einen entscheidenden Vorteil: Sie holen passive Zuschauer aus ihrer Kompfortzone und geben ihnen die Möglichkeit Nachrichten aktiv zu erfahren. Im Idealfall ist der Nutzer danach nicht nur informiert sondern hat ein System begriffen.

Damit schließt unsere Berichterstattung zum Medienforum NRW. Den abschließenden Vortrag von Gunter Dueck konnten wir leider nicht anhören. Bei Kaffee und Keksen wurden in der Presselounge die Mikros an-geschmissen und die 253. Folge von Was mit Medien produziert. Die Ausgabe hört ihr in Kürze. The End.

Fotos: © Ralph Sondermann / Medienforum NRW

3 Kommentare

  1. Gefragt wird, von einer mittlerweile längst an Grenzen stoßenden Politik:
    „Wo sind denn die Bürger in den öffentlichen Ausschüssen?“
    Eine hohle Phrase der Repräsentativen. Wer außer Studenten, Arbeitslosen, Haushütern oder Freiberuflern hat denn dafür Zeit? Und nach einem Besuch dann nochmal Lust?

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